Rausch ohne Drogen
Eine Reportage über die Ursachen, Zusammenhänge und Folgen der Sportsucht

Von Melissa Feuchtgruber und Lea Goldberger

Ein noch eher selten auftretendes Phänomen in der Gesellschaft ist die Sportsucht. Betroffene leiden unter dem inneren Zwang, sich sportlich zu betätigen zu müssen, ohne jedoch zwingend Wettkampfambitionen zu haben. Die Sportsucht kann sowohl für Betroffene als auch deren Angehörige eine sehr belastende Erkrankung sein. Bis heute ist man sich jedoch nicht sicher, ob es sich um eine Sucht im herkömmlichen Sinne, eine Zwangsneurose oder eine Impulskontrollstörung handelt. 

Doch welche Gesellschaftsgruppen sind von der Sportsucht eigentlich betroffen und wie äußert sich diese im Alltag der Personen? Welche Therapiemöglichkeiten gibt es, um die Sportsucht zu therapieren? Im Experteninterview mit Mag. Dr. Björn Krenn von der Universität Wien wird diesen Fragen, neben den Ursachen, Symptomen und Folgen der Sportsucht, auf den Grund gegangen.

Lisa (Namen wurden zum Schutz der Anonymität geänder)  ist 50 Jahre alt, 168 cm groß und wiegt 63 kg. Angefangen mit dem Laufen hat Lisa während ihrem Studium, mit 20 Jahren. Seitdem ist der Sport ein fester Bestandteil ihres Lebens. Mittlerweile geht sie jeden Tag joggen. Tut sie das nicht, so klagt sie über “Spannungszustände”, die sich in Kopfschmerzen und Gliederschmerzen äußern können. Außerdem ist sie leicht reizbar und es fällt ihr schwer still zu bleiben, wenn sie länger keinen Sport macht. Die Symptome treten zufällig auf, ohne erkennbares Muster. Verschwinden tun sie allerdings erst, wenn Lisa laufen geht. Bis es soweit ist kann sie auch an nichts anderes denken. Meistens geht Lisa gleich nach dem Aufstehen eine Stunde joggen, an manchen Tagen sind die Beschwerden jedoch so schlimm, dass sie mehrmals am Tag Sport machen muss. Da Lisa von zu Hause aus arbeitet ist sie sehr flexibel und kann auch untertags oder abends laufen gehen. Manchmal genügen kurze Trainingseinheiten von ungefähr 30 Minuten, um die Beschwerden zu reduzieren, manchmal läuft Lisa aber auch bis zur Erschöpfung. Einen strukturierten Trainingsplan hat sie bei alldem nicht und auch an Wettkämpfen nimmt Lisa nicht teil. Lisa ist sportsüchtig. Sie selbst weiß das auch, ändern will sie aber trotzdem nichts. Sie sagt sie fühle sich nur wohl, wenn sie Sport in dem Ausmaß betreibt, in dem sie es momentan tut. Mindestens einmal am Tag, manchmal öfter. 

 

Interview mit Dr. Björn Krenn

 

Bei der Sportsucht handelt es sich nicht um ein Phänomen der heutigen Gesellschaft. Es wird davon ausgegangen, dass die Sportsucht existiert seit der Mensch Sport betreibt. Zu ersten Untersuchungen auf diesem Forschungsgebiet kam es jedoch erst in den 1970er Jahren. Einige Zeit später, zwischen 1990 und 2000, folgten erste systematische Untersuchungen und Publikationen. Aus wissenschaftlicher Perspektive ist man sich bis heute nicht sicher, ob es sich bei der Sportsucht um ein eigenständiges, klar definierbares Phänomen handelt. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass keine Suchterkrankung im eigentlichen Sinn vorliegt. Im Gegensatz zu stoffgebundenen Erkrankungen wie der Alkoholsucht, wurde die Sportsucht bisher nicht in der ICD (International Statistical Classification of Disease and Related Health Problems) eigenständig erfasst. Zwar gibt es mittlerweile einiges an Forschung über Sportsucht, genaue Definitionen, Diagnosekriterien und Behandlungen sind bis heute allerdings nicht existent (Krenn: 2019). 

Grundlegend wird bei der Sportsucht zwischen der primären und der sekundären Form unterschieden. Die sekundäre Form der Sportsucht zeichnet sich dadurch aus, dass Sport betrieben wird, um externe Ziele zu erreichen. Extreme Trainingseinheiten, um das eigene Körpergewicht zu reduzieren oder den Körper an gängige Schönheitsideale anzupassen dominieren die sekundäre Sportsucht. So wird das Sporttreiben als Mittel zum Zweck missbraucht. Nicht selten wird die sekundäre Sportsucht auch durch Erscheinungen wie unter anderem gleichzeitige Essstörungen begleitet (Stoll: 2017).  Es handelt sich also um Sportsucht auf Basis extrinsischer, von außen kommender, Motivation

 Im Gegensatz hierzu steht die primäre Sportsucht. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie durch intrinsische Motivation entsteht. Der Sport wird von den Betroffenen um der Sache selbst Willen betrieben. Andere Ziele wie beispielsweise Gewichtsverlust oder Muskelaufbau spielen hierbei eine untergeordnete Rolle. Das Ziel der intrinsischen Motivation ist das Streben nach Selbsterfahrung und Autonomie (Ryan & Deci: 2000). 

Die Symptome der primären und der sekundären Sportsucht sind weitgehend ident und genügen daher nicht für eine ausreichende Unterscheidung der beiden Formen. Sie beinhalten unter anderem “exzessive Trainingsplanung und -kontrolle, Beschaffung von Zubehör und Hintergrundinformationen an Ruhetagen, Vernachlässigung anderer Lebensbereiche zugunsten des Sports” (Schipfer: 2015, S.14) und einige weitere. Auch Entzugserscheinungen, wie Unruhe und Reizbarkeit bis hin zu Magen-Darm-Störungen und Schlafstörungen, wenn kein oder weniger Sport betrieben wird sind ein Symptom der Sportsucht (Schipfer: 2015). Erschwerend hinzu kommt, dass es auch bei Sport zu einer Toleranzentwicklung kommen kann. Betroffene einer Sportsucht benötigen nach und nach eine steigende Menge an Sport, um den gewünschten Effekt zu erreichen beziehungsweise wird bei gleichbleibender Menge an Sport ein geringerer Effekt wahrgenommen (Schipfer: 2015). 

Obwohl die Symptome beider Formen der Sportsucht nahezu gleich sind ist eine Unterscheidung der primären und sekundären Sportsucht immens wichtig. Relevant wird diese Differenzierung vor allem, wenn man mögliche Behandlungsmethoden genauer betrachtet. Tritt eine sekundäre Form der Sportsucht auf, so wird das eigentliche Störungsbild behandelt. Hierbei kann es sich beispielsweise um eine Essstörung handeln, wenn Betroffene eine Gewichtsreduktion erzwingen wollen. Zur Behandlung der primären Sportsucht verweist Mag. Dr. Björn Krenn darauf, (…) eine Beratungsleistung in Anspruch zu nehmen oder in weiterer Folge dann auch eine Psychotherapie, (…), wo es verstärkt darum geht zu reflektieren was (…) die Ursache des Verhaltens ist (Krenn: 2019 zitiert aus Interview mit Dr. Krenn 00:03:29).

Durch die zunehmende mediale Aufmerksamkeit kommt es zu einem verstärkten Interesse der Öffentlichkeit in Bezug auf die Sportsucht (Batthyany & Pritz, 2009). Die Gesellschaft diskutiert über das Phänomen ohne jedoch genaue Hintergrundinformationen zu kennen. Selbst nach mehr als 40 Jahren sind sich die wissenschaftliche Community und Experten nach wie vor nicht einig, wie und wo man das Phänomen der Sportsucht einordnet (Zoidl: 2019). 

Zusammenfassend lässt sich vor allem feststellen, dass es mehr Forschung benötigt, um eindeutige Aussagen zum Thema Sportsucht zu treffen. Die Symptome und Ursachen sind sehr vielfältig, was sowohl die Klassifizierung und Definition, als auch die Erarbeitung von Behandlungsmethoden erschwert. Bei all diesen Punkten ist sich die wissenschaftliche Community uneinig. Fest steht allerdings, dass Sportsucht ein ernstzunehmendes Phänomen ist, das wohl schon so lange existieren dürfte, wie der Mensch Sport betreibt. 

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Literaturverzeichnis

Krenn, B. (2019). zitiert aus (Interview mit Dr. Krenn) Video: 00:03:29. 

Batthyany, D. & Pritz, A. (2009). Rausch ohne Drogen. Substanzungebundene Süchte. Wien: Springer-Verlag. S. 191. 

Ryan, M. R. & Deci, L. E. (2000). Self-Determination Theory and the Facilitation of Intrinsic Motivation, Social Development, and Well-Being.American Psychologist, (55), No. 1 68-78 DOI: 10.1037//0003-066X.55.5.68

Schipfer, M. (2015). Sportbindung und Sportsucht im Ausdauersport: Theorie - Diagnostik - Empirie. Dissertation Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Stoll, O. (2017). Sportsucht – Therapie, Forschungsstand und Gedanken zu Interventionsmöglichkeiten. Psychotherapie im Dialog, (1), 1-5. DOI:    10.1055/s-0042-121706

Zoidl, F. (22. Mai 2019). Sportsucht: Wenn Laufen krank macht. DER STANDARD. Online unter: https://www.derstandard.at/story/2000103492744/sportsucht-wenn-laufen-krankhaft-wird

 

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Verantwortlich für den Inhalt:
Autorinnen: Melissa Feuchtgruber und Lea Goldberger
Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien
Lehrveranstaltung: Übung Multimedia SS 2019
Veranstaltungsleiter: Dr. Manfred Bobrowsky